Mittwoch, 23. Januar 2019

Wieviele Level hat mein Spiel?

Gedanken zum Level 70 im "Spiel des Lebens".

Allgemein wird dieses Computerspiel als Geschenk bezeichnet. Aber wer ist der Schenkende? Die einen sagen, es sei Gott. Andere sagen, es würde durch sexuelle Tätigkeiten verschenkt.

Ablehnen kann man dieses Spiel nicht. „Nein, danke, behalt es“, gilt nicht. Es wird einem förmlich aufgezwungen. Abbrechen gilt auch nicht.

Es beginnt, wenn man den ersten Schrei tut. Zu Beginn ist man unfähig, den Haken des Spiels zu erkennen: Es hat eine unbekannte Anzahl von Leveln.


Wie bei jedem Computerspiel sind die ersten Level so leicht, dass man sich gar nicht drum kümmern muss. Man erreicht automatisch die nächsten Level, andere spielen einem das Spiel nach ihren Vorstellungen vor und das funktioniert ganz gut bis zum Level „Pubertät“, der wievielte das sein wird, bleibt von Beginn an unklar. Plötzlich hat man ihn erreicht und es wird erwartet, dass man nun eigene Wege findet, die Level zu spielen und weiterzukommen. Dabei sind diese nächsten Level sehr verwirrend, man könnte gut Hilfe gebrauchen, in den meisten Fällen wird diese aber verweigert. Man beginnt zu ahnen, dass es von nun an vorbei ist mit der Sicherheit. Von nun an lauern an jeder Ecke Finten und Gefahren von denen man keine Vorstellung hat, wie man sie bewältigen könnte, das Spiel wird zum Glücksspiel.

Der Level 18 hat es dann wieder gewaltig in sich. Von nun an ist man völlig auf sich alleine gestellt. Man kriegt ein neues Update des Spiels, von dem alle anderen behaupten, es sei ausschließlich für einen selbst, sie wüssten nicht, wie dieses Update zu spielen sei, aber man hätte ja bei den Vorgängerversionen genug gelernt, um nun alleine klar zu kommen. Am besten suche man sich jetzt auch einen eigenen Tisch, um die Füße drunter und den Computer draufzustellen, der Tisch darf auch ruhig weit genug weg sein, dass man niemandem mit Fragen zur Last fällt, der ohnehin keine Antwort weiß. Nur enttäuschen soll man bitte keinen, man hätte schließlich sehr viel Geld und Zeit investiert um einen bis auf diesen Level mitzuschleppen, das sollte man dankbar anerkennen.

Nach einer Weile stellt man fest, dass es Spieler gibt, die dieses Update schon besser kennen und bereit sind Hilfestellung zu bieten, so lange man sich bemüht, die Hilfen nicht zu oft in Anspruch zu nehmen oder Gegenleistungen anbieten kann.

Dabei muss man aber aufpassen, nicht an Spieler zu geraten, die einen verarschen und in die Irre leiten, aus der man dann alleine wieder rausfinden muss.

Die Level des neuen Updates sind nicht ohne. Nur wenige erreicht man mit einem Gefühl der Leichtigkeit. Auf den nächsten Leveln gaukelt einem das Spiel vor, unbesiegbar zu sein. Es lockt mit Erfolgen, die in Form von Münzen ausgeschüttet werden. Es beginnt süchtig zu machen nach Münzen, aber es fordert immer mehr Einsatz von Zeit. Am Schicksal anderer Spieler erkennt man die Folgen der Versuche, sich gegen die Spielregeln aufzulehnen. Sie verloren die Münzen, erhielten dafür Existenzangst, einige landen in Armut und Obdachlosigkeit. Viele sterben auf einem viel zu frühen Level und das Spiel fragt: „Schau dir das an! Willst du das für dich?“

Man lernt, dass Liebe nur gegen Leistung zu haben ist und Vertrauen fast immer missbraucht wird. Gesundheit ist unwichtig, Krankheit wird mit Münzen ausgeglichen. Nur wenige Mitspieler erweisen sich als zuverlässig, noch weniger bieten Hilfe in Form von Tipps, wenn man sie braucht, Spieler die einem Münzen schenken, damit man weiterspielen kann, sind Glücksache. Man staunt jedesmal, wenn man einen weiteren Level erreicht hat. Ausruhen darf man nicht. Kaum hat man einen Level erfolgreich gespielt und denkt „Geschafft!“ schmeißt einem das Spiel schon das erste Problem des nächsten Levels vor die Füße. Einen Knopf für „Pause“ hat das Spiel nicht. Auf manchen Leveln ist auch Schlaf nicht erlaubt.

Manche Spieler brechen das Spiel ab und gehen lieber freiwillig in den Tod, als weiterzuspielen. Diese werden verachtet als nicht lebenswerte Versager oder Schmarotzer. Wer versucht, die Lüge des Spiels aufzudecken, dem wirft man Ketzerei und Verschwörung vor. Das Spiel ist keine Lüge! Das Spiel führt zu immer währendem Reichtum und Glück, denn nur Reichtum ist Glück. Aber der Level, auf dem das erreicht wird, wird niemals verraten.

Irgendwann muss man aber erkennen: Das Spiel ist eine Täuschung und endet immer mit dem Tod des Spielers. Vorher verliert man immer mehr die Kontrolle über das eigene Spiel, weil man geistig und körperlich an dem Spiel zugrunde geht. Wieder entscheiden andere, was man zu essen bekommt und wie oft man gewaschen wird. 

Für den einen kommt der letzte Level früher, für den anderen später aber der letzte Level ist immer der Tod.

Ich erreichte heute Level 70. Wieviele hab ich wohl noch?