Samstag, 30. September 2023

Ja, ich bin immer noch scheiße drauf. Aber ...

 ... endlich zu wissen, was Sache ist, macht es langsam leichter, sich ab- und zurrechtzufinden. 

Das MRT und der Termin in der Neurologie im Krankenhaus haben Erkenntnisse gebracht. Keine Schönen, aber ich weiß jetzt zumindest, mit welchen Muskeln ich noch rechnen kann und mit welchen nicht mehr. 

Unter "nicht mehr" fallen leider der Delta-Muskel und der Supraspinatus. Der Delta hat keine Verbindung mehr zu seinem Nerv, dem Axilaris. Und dem Supraspinatus fehlt wohl die Sehne zum Ansatz am Oberarm.

Damit sind auf jeden Fall alle Bewegungen seitlich weg vom Körper und nach oben nicht mehr machbar. Mein Oberarm wird für den Rest meines Lebens am Oberkörper kleben bleiben. Es sei denn, es geschieht das kleinste aller möglichen Wunder, dass die "losen Enden" des Nervus axilaris sich von alleine wieder zusammenfügen. Aber in meinem Alter rechne ich damit nicht mehr. Ich werde also nie wieder Fahrrad fahren können und vom Auto lass ich am besten auch die Finger, denn ich hab keine Kraft im rechten Arm. Schalten würde wohl nicht gehen.

Alle anderen Muskeln sind mangels ausreichender Bewegung in den letzten Monaten verfettet und degeneriert, (ging ja alles nur passiv) aber Nerven und Sehnen sind in Ordnung oder nur minimal geschädigt. Das kann alles wieder hinkommen, es kann aber bis zu einem Jahr dauern. 

Seit ich aus der Reha zurück bin, versuche ich, mit dem Arm zu leben, als sei nichts passiert. Das ist manchmal schmerzhaft und auf jeden Fall anstrengend. Oft muss ich mit der linken Hand helfen, dass die Rechte dort ankommt, wo ich sie haben will. Aber es bringt auch Fortschritte. 

  • Ich kann mir inzwischen wieder mit der rechten Hand ins Gesicht fassen, auch wenn das spastisch aussieht, aber es geht.
  • Ich kann mir auch wieder den linken Arm waschen und die linke Axelhöhle, wenn ich den rechten Arm dabei festhalte, dass er mir nicht nach unten fällt.
  • Ich habe mir auch die Fußnägel schneiden können. Auch die Großzehen, in den äußeren Falzen. Das liegt z. T. daran, dass ich immer noch sehr gelenkig bin, zum anderen daran, dass man Wege findet, wenn man den Willen hat, denn ohne Verrenkungen geht es nicht. Und Zuschauer würden wohl den Blick entsetzt abwenden, weil sie erwarten, dass ich mir jeden Moment den einen oder anderen Zeh abschneide. Aber ich hab mich nicht verletzt dabei. 
  • Ich kann mir auch die Haare schneiden mit der Haarschneidemaschine. Dafür muss ich nur den Kopf runter machen. 

Was mich immer noch zum Heulen bringt, ist das Anziehen von Unterwäsche nach dem Duschen oder bei warmem Wetter, wenn ich von oben bis unten nass geschwitzt bin. Da könnte ich jedes Mal vor hilfloser Wut einen Schrei-Anfall kriegen. 

Es geht alles. Aber alle diese Kleinigkeiten kosten mehr Kraft als ich habe. Nach jeder einzelnen Aktion muss ich Pause machen oder mir fallen tatsächlich die Augen zu und ich penne ein.  

Ich habe überhaupt keinen Bock auf menschliche Gesellschaft. Menschen sind anstrengend. Sie hören entweder nicht zu oder reden ohne Punkt und Komma. Sie wollen entweder über mein Unglücke wissen, ich wills aber nicht mehr erzählen. Oder sie wollen mir von ihrem eigenen Unglück erzählen, dazu fehlt mir die Kraft, mich darauf einzulassen. 

So kommt es, dass nicht nur ich andere Menschen meide, sondern andere Menschen beginnen auch, mich zu meiden. Was mir aber derzeit am Arsch vorbei geht. Ich muss ganz einfach gucken, dass ich meinen Alltag und den meines Hundes geregelt kriege. 

Und mit dem Hund wirds auch nicht leichter. Wir müssen seit ein paar Tagen schon morgens um ca. 4 Uhr raus und dann gehts alle 2 Stunden weiter mit Gassi, bis nachts um 12 Uhr. Das macht den Alltag für mich auch nicht einfacher. Aber trotz allem bin ich letztendlich froh, dass er immer noch da ist. Trotz allem ist er der Einzige, der mich immer noch zum Lachen bringen kann.