Montag, 27. November 2023

Was war denn nun in Bremerhaven?


Warum bist du denn einen Tag früher nach Hause gefahren?

Tja, wenn man sich verabredet, sich live kennenzulernen, mit jemand, den man bis dahin nur schriftlich kennt, allenfalls mal telefoniert hat und dafür eine lange Bahnreise unternimmt, ist das ein Experiment. Und in diesem Falle ist das Experiment schief gegangen. Daran trug aber die Bahn keine Schuld, es hat zwischenmenschlich geknallt.In den meisten Fällen habe ich bei solchen Experimenten nette Leute kennengelernt, wir hatten Spaß und haben uns mit dem Vorsatz getrennt: "Das machen wir noch mal!" In diesem Falle, werde ich das nicht wiederholen.

Was ist denn passiert?

Als ich meine Gastgeberin bei fb kennenlernte hab ich gesagt: "Ein kleiner Klugscheißer bist du aber schon, oder?" Heute weiß ich: sie ist kein KLEINER Klugscheißer. Sie hat keine Meinung, sie verkündet Tatsachen und Wahrheiten. 

Von Donnerstag- bis Freitagabend ging alles gut. Wir sind im Hafen rumgelaufen und haben die Stadt angeguckt. Was aber schon klar war: sie redet viel. Ich habe versucht zu signalisieren, dass sie mir zu viel redet. "Ich bin ein Morgenmuffel. Wunder dich also nicht, wenn ich nicht reagiere!" Oder: "Ich bin es überhaupt nicht gewöhnt, ständig jemand um mich zu haben." 

Der Donnerstag mit der langen Bahnfahrt und den vielen Verzögerungen und der Freitag im Hafen waren für mich anstrengend. Und dann begann am Abend ein nicht endender Redeschwall über alle Themen, die ich bei fb schon lese und die mir ziemlich zum Hals raus hängen. Aber es war ihr wichtig, mir ihren Standpunkt und ihre Meinung zu erzählen. Bis ich sagte, ich sei eigentlich nicht gekommen, um alles, was mir zuhause auf die Nerven geht, von ihr noch einmal zu hören. 

Ich weiß nicht mehr, wie es auf das Thema "Leben nach dem Tod" kam, aber meine spontane Reaktion war: "Um Gottes willen, ich will keins!" - "Warum nicht?" - "Weil dieses eine Leben beschissen genug ist, ich brauch das kein zweites Mal. Ich will über dieses Thema nicht sprechen!"  - "Woher weißt du denn, dass es nicht besser wird?" - '"Pass auf, ich habe gesagt, ich will über dieses Thema nicht sprechen. Ich muss nicht erklären, warum ich nicht darüber sprechen will, wenn ich es nicht will, hast du das ganz einfach zu respetkieren und es zu lassen." Das war glaub ich nicht gut.

Danach fing sie an, Haare zu spalten. "Du hast gesagt....!" Und ich war schon so Matsch im Kopf, dass ich nicht mehr wusste, was ich wörtlich gesagt hatte. Ich hatte jedenfalls mit dem Streit angefangen, ich war schuld.

Vorgeschichte für den Samstagmorgen: Am Freitag waren wir einkaufen. Brauchen wir Brot? 

Was hast du denn zuhause?
Nur weißes Toastbrot.
Hast du davon genug?
Ja, jede Menge.
Dann brauchen wir kein Brot zu kaufen, essen wir Toastbrot.

Am Samstagmorgen hatte sie auf der Gassirunde Brot und Brötchen gekauft. Ich: "Warum hast du denn Brot gekauft? Wir wollten doch Toast essen?!" Ja aber ich hätte das so gesagt, als hätte ich doch lieber anderes Brot haben wollen. Hä? Hab ich sie also belogen, als ich sagte ich könne Toast essen? Wir sitzen am Küchentisch und sie legt mit ein Brötchen auf den Teller: "Das ist ein Körnerbrötchen aus reinem Roggenmehl" Muss ich grinsen und sage: "OK, aber Roggen ist nun leider nicht wirlich mein Ding."

Im gleichen Moment fängt der Hund an zu Bellen, ich versuche den zu beruhigen, während sie mein Brötchen vom Teller nimmt, ein anderes drauf knallt und erbost und laut sagt: "Das ist ein Dinkelbrötchen. Magst du Dinkelbrötchen?" Ich war noch mit dem Hund beschäftigt, hatte ihn als "BamBam" angesprochen, muss darüber lachen und sie zetert wieder da hinein: "Das ist ein Dinkelbrötchen. Magst du Dinkelbrötchen?" Ich schau sie an und sie zetert mir ins Gesicht: "Das ist ein Dinkelbrötchen. Magst du Dinkelbrötchen?" Ich hatte erwartet, dass sie noch "du verwöhntes Rotzgör" hinten dran hängt. Irgendwie hat es mir die Sprache verschlagen, ich hab mal tief  durchgeatmet und gesagt: "Ich glaube, es ist besser, wenn ich heute nach Hause fahre." Und da mir an ihrem Seelenheil nach dieser Szene nichts mehr lag, an meinem aber um so mehr hab ich gefragt: "Kann ich jetzt bitte eine Redepause haben, bis ich richtig wach bin?" Steht sie beleidigt auf, nimmt ihr Frühstück, geht ins Wohnzimmer und lässt mich in der Küche alleine sitzen. Gott sei Dank, endlich mal Ruhe. Der Appetit war mir vergangen. Bin ich aufgestanden und sage: "Ich hab keinen Appetit mehr, ich geh packen, du kannst in der Küche frühstücken."

Als sie mit Frühstück fertig war fing sie an, mich verbal niederzumachen. Ich sei kindisch, ich hätte angefangen, sie schimpfte nur noch. Als ich zur Toilette ging kam sie mir ins Bad hinterher und beschimpfte mich während ich auf dem Klo saß. Trotzdem war sie der Meinung, sie müsste mich zum Bahnhof begleiten, weil ich mich sonst verlaufe. Ich hab mich mein Leben lang noch nie verlaufen. Nach Hause bin ich noch immer gekommen.

Zum Abschied gab sie mir die Hand wünschte mir eine gute Reise und dass es mir bald besser ginge und tat als sei nichts vorgefallen. An dem Ganzen Mist war also nur ich schuld mit meiner vom Unfall und dem Hundetod ramponierten Psyche.

Was war ich erleichtert, als sie endlich weg war. Tief Luft geholt, in den Bus nach Bremerhaven Hbf gesetzt und gedacht: Es ist jetzt ganz egal, wann du nach Hause kommst und welchen Zug du kriegst. Hauptsache nach Hause. 

Inzwischen bin ich sicher, dass ich da ein klassisches Muster eines Narzissen kennengelernt habe. Sie ist eine intelligente Frau. Aber ich bin nicht in der Lage das wahre Ausmaß ihres Wissens und ihres guten, toleranten Charakters zu erfassen. Jedenfalls war ihre Toleranz anderen Lebewesen gegenüber am Freitag ein Thema, über das sie lange und ausführlich gesprochen hat. Natürlich ohne zu bemerken, dass ich zu dem Punkt schon gar nicht mehr zugehört habe, sondern nur noch "jaja" und "hmmm" einwarf. Sie redet einem das Hirn zu Matsche. 

Die Heimfahrt war ok. Ich musste allerdings ein neues Ticket kaufen. Meins für Sonntag war zuggebunden, ändern konnte man das auch nicht mehr, weils im Reisebüro ausgestellt wurde. Aber das hat mich nicht ruiniert. Der erste ICE nach Köln, den ich hätte nehmen können fiel allerdings aus. Der nächste war dann so gestopft voll, dass ich bis Münster stehen musste. In Köln hätte ich direkt im Anschluss eine S-Bahn erwischt, wenn die nicht ausgefallen wäre. Die nächste kam nach Plan. Aber was solls. Ich hatte ja so viel Zeit und so viel Ruhe - alles war gut und richtig. 

 Was ich noch gelernt habe?

Ich brauche andere Reiseutensilien. Einen schweren Rucksack auf den Rücken zu kriegen und zu tragen mit dem kaputten Arm ist nicht mehr ideal. Das Regencape ist zwar absolut wasserdicht, aber bei Sturm wird es zum Segel und der Wind bläst es mir um den eigenen Kopf und vor die Augen. Keine meiner Jacken ist einem Küstensturm und Regen gewachsen. Da brauch ich was Neues, dichtes, leichtes, weites, das ich über Warmes darunter drüberziehen kann und dann wasserdicht bin. Und fürs Gepäck einen kleinen Rollkoffer für den Zug und meinen kleinen Rucksack für Reiseproviant und zum Rumlaufen am Zielort.

Aber erst mal werde ich das Deutschland-Ticket nutzen so oft wie möglich, und NRW erkunden. Denn ich bin überzeugt, dass man uns das irgendwann wieder wegnimmt und Bahnfahrten dann wieder teuer werden. Wenn die Bahn schon keinen Service bietet, soll man den wenigstens bezahlen, oder?