Donnerstag, 20. Juni 2024

Ein Jahr danach


Heute vor einem Jahr wurde ich vom RTW auf der Straße aufgesammelt und ins Krankenhaus verbracht. Seit dem ist nichts mehr wie es war und es hat sich auch nach einem Jahr genesungstechnisch extrem wenig verändert: Was ich damals, nach der OP schon konnte, kann ich inzwischen minimal besser. Was damals nicht ging, geht auch heute nicht: über kopf arbeiten. Aber der Mensch gewöhnt sich bekanntlich auch ans Hängen, er muss nur lange genug hängen.

Ich habe inzwischen verworfen, Anträge für einen Schwerbehindertengrad oder eine Pflegestufe zu stellen. Für beides weiß ich keine Argumente. Was kann ich denn nicht? Ich habe inzwischen die Wohnung renovieren lassen (anstreichen und neuer Fußboden) und dabei selbst die Möbel verrückt. Nach der Renovierung hab ich selbst die gewaschenen Gardinen wieder aufgehängt. Sogar die Bettdecke krieg ich alleine in einen frischen Bezug. Mit vielen Flüchen, aber ich brauch niemanden, der mir hilft. Das einzige, was ich tatsächlich bisher alleine nicht konnte: die Bilder wieder aufhängen. Nagel halten und mit dem Hammer drauf schlagen geht eben tatsächlich nicht mit nur einem brauchbaren Arm. 

Wie soll ich also dem medizinischen Dienst glaubwürdig verklickern, dass ich eine finanzielle Unterstützung brauchen könnte um eine Hilfe davon zu bezahlen? Ich kann zwar lügen, aber so gut nun auch wieder nicht. 

Was auch nicht mehr ist, wie es mal war, ist die Kondition. Sie will einfach nicht zurückkommen. Ich sollte deswegen vielleicht mal zum Arzt gehen, aber ich hab keinen Bock auf Arzt. Ich versuch lieber, die in der Depriphase angefressenen Pfunde wieder runterzubekommen, die vieles erschweren, z.B. das atmen, wenns auch nur leicht bergauf geht. Mit mehr Bewegung ist das schon schwieriger, denn ich bin vom Grundatz her eher der faule Typ Mensch, der gerne rumsitzt, liest, zeichnet, träumt und draußen die langsamen Aktivitäten vorzieht. Bewegung war mit Hund einfacher. 

Der Seelenhund ist aber nun auch schon im 8. Monat nicht mehr da. Das verursacht immer noch Tage der Depression und Tränen, aber so schlimm, dass ich deswegen Psychopillen nehmen muss, ist das auch nicht mehr. Die Dinger hab ich im April wieder abgesetzt. Hin und wieder hab ich einen Hund zum Sitten, was natürlich gut klappt. Bin ja nicht mehr dumm im Umgang mit Hunden. Und es hat sogar mit Katzen geklappt. Es zeigt mir aber auch, dass ich nie wieder einen Hund wie BamBam bekommen werde und es ist jedes mal eine Bestätigung, keinen eigenen mehr anzuschaffen. Aber die Seele leidet.

Neue Hobbies sind Versuche, das Leid zu mildern. Deutschlandticket und Jahreskarte für den Zoo wurden schon mehrfach genutzt. Tatsächlich machen mir meine kleinen Zeichnungen viel Spaß und lassen mich für Stunden die Welt vergessen. Denn die Welt ist ja seit Corona auch nicht mehr, was sie mal war. Das muss ich niemandem erklären. Wer mich kennt, kennt auch meine Ansichten zu Kriegen, egal wo und meine Meinung dazu, wo der eigentliche Feind sitzt, der uns ins Verderben führen will. Ja, WILL! Seit neustem sitzt mir beim Aufwachen am Morgen eine undefinierbare Angst im Magen, die Übelkeit macht.

So ist eigentlich die Lebensmüdigkeit nach einem Jahr immer noch größer als die Lebensfreude. Letztere ist ja auch schwerer zu finden. Da muss man sich schon anstrengen. Suizidgefährdet bin ich nicht, dafür bin ich immer noch zu feige. Aber einschlafen und nicht mehr aufwachen fänd ich gar nicht so schlecht.

Das einzig erfreuliche für mich derzeit ist das, worüber alle unglücklich sind: das Sommerwetter. Es ist kühl und häufiger nass als trocken. Für mich die perfekte Entschädigung für das Ungemach der letzten Monate. Wenigstens muss ich mir nicht die Seele aus dem Leib schwitzen.

Das nächste größere Ereignis findet am 30.6. statt: ich gebe den Minijob auf. Dafür habe ich einen Antrag auf Wohngeld gestellt und diese Woche die schriftliche Bestätigung erhalten, dass der Antrag bearbeitet wurde und ein Bescheid unterwegs ist. Über die Höhe des Bescheides hat man sich aber noch nicht ausgelassen, da darf ich noch neugierig bleiben. 

Das Leben geht weiter. Wie immer. Die Frage ist ja nie, ob es weitergeht. Die Frage lautet immer: WIE geht es weiter. Hauptsache weiter!